Sicherheit statt Polizei

Collage mit Bildern von Polizist*innen und Geldscheinen.
Hier gibt's unseren Bericht zum Download

Im Dezember 2025 hat Justice Collective einen neuen Bericht veröffentlicht, der aufzeigt, dass wir öffentliche Gelder aus dem Berliner Polizeietat in soziale Bereiche und marginalisierte Communities investieren sollten.

Mit jeder neuen Haushaltsrunde erklären Berliner Politiker*innen aufs Neue, es gebe nicht genug Geld für all das, was diese Stadt lebenswert macht. In den vergangenen Jahren haben sich vor diesem Hintergrund breite Bündnisse aus Sozialverbänden, Kulturszene, Bildungsinitiativen und vielen weiteren Bereichen zusammengeschlossen, um gemeinsam Widerstand gegen Sparmaßnahmen zu organisieren, die immer unausweichlicher erscheinen. Und das, obwohl der Gesamtetat im kommenden Doppelhaushalt einen historischen Höchststand erreichen soll. Gleichzeitig sollen zahlreiche Bereiche dennoch empfindliche Kürzungen hinnehmen, wie wir im nächsten Abschnitt genauer erörtern.

Eine Behörde bleibt von Einschnitten dieser Art jedoch konsequent verschont: die Polizei. Die Ausgaben für die Polizei Berlin sind in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten stetig gestiegen – von knapp 1,2 Mrd. € im Jahr 2010 auf über 2 Mrd. € im Jahr 2024. Das entspricht einem Wachstum von 65 % und übertrifft damit deutlich die Inflationsrate. Um diese Dimension einzuordnen: Der Polizeietat ist höher als der gesamte Etat für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung – und er ist mehr als doppelt so groß wie der Etat für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Diese überdimensionierten Ausgaben müssen eingehegt und zurückgefahren werden, damit Ressourcen frei werden können, die Berlin für sozialen Zusammenhalt und ein gutes Leben für alle dringend braucht.

Dieser Bericht bündelt Informationen über die Polizeiausgaben in Berlin, die sonst kaum an einer Stelle zugänglich sind und sich über zahlreiche, oft schwer durchschaubare Haushaltsdokumente verteilen. Zudem setzen wir diese Zahlen in den Kontext aktueller Polizeipraxis in der Hauptstadt, um deutlich zu machen, was auf dem Spiel steht. Wir argumentieren, dass die öffentlichen Gelder, die Berlin in die Polizei steckt, nicht dem Gemeinwohl dienen, sondern ihm schaden – allen voran den marginalisierten, rassifizierten und migrantisierten Communities dieser Stadt. Darüber hinaus fordern wir, dass Berlin seine Haushaltspolitik an einem sozial fundierten Sicherheitsverständnis ausrichtet, das Polizeipräsenz nicht mit tatsächlicher Sicherheit verwechselt. Statt weiterhin auf Polizei zu setzen, braucht es Umverteilung von Wohlstand, Investitionen in bessere Lebensbedingungen, Zugang zu Gesundheitsversorgung und andere Ressourcen, die ein würdevolles Leben für Menschen in dieser Stadt begünstigen.

Der Bericht ist in drei Teile aufgegliedert:

In Teil 1 analysieren wir im Detail, wie sich das Polizeibudget Berlins zusammensetzt und wofür die Gelder eingesetzt werden. Unsere Auswertung zeigt: Berlin investiert Jahr für Jahr enorme Summen in die Polizei. Diese Ausgaben steigen kontinuierlich, unabhängig davon, welche Koalition regiert. Wie wir darlegen, fließt der Großteil des Polizeibudgets in Personal: Allein 2024 belaufen sich diese Kosten auf 1,57 Mrd. €. Zwischen 2013 und 2023 hat die Berliner Polizei ihre Belegschaft um mehr als 15 % vergrößert (gemessen in Vollzeitäquivalenten, oder VZÄ). Während die Polizei wächst, wurden in anderen Bereichen Stellen abgebaut, etwa in der Familienhilfe und Wohlfahrtspflege, sowie in sozialen Einrichtungen und Krankenhäusern. Im Jahr 2024 umfasste die Belegschaft der Polizei Berlin rund 26.500 VZÄ. Damit kommen in Berlin auf 100.000 Einwohner*innen 723 Polizeikräfte – deutlich mehr als in New York City, wo es 556 pro 100.000 sind.

Auch die Sachausgaben der Polizei sind spürbar gestiegen: 2024 gab Berlin über 400 Mio. € für Material aus, was einem Anstieg von 36,59 % gegenüber 2010 entspricht. Wie wir später im Detail zeigen, zählen dazu unter anderem Taser, Bodycams und verschiedene Überwachungstechnologien. Diese Ausrüstung erweitert die Handlungsmacht der Polizei im Alltag – und setzt Menschen in Berlin damit häufiger Situationen aus, in denen Gewalt angewendet werden kann.

In Teil 2 beleuchten wir die sozialen und politischen Rahmenbedingungen, die die massive Mobilisierung polizeilicher Ressourcen ermöglichen, und wie diese insbesondere gegen rassifizierte und marginalisierte Communities in Berlin eingesetzt werden. In den vergangenen Jahren hat die Stadt im Namen der „öffentlichen Sicherheit“ erhebliche Mittel in eine ausgeweitete Polizeipräsenz in migrantisierten Vierteln gesteckt: in neue Wachen, in Sondereinheiten und in den Ausbau polizeilicher Überwachung. All das geschieht auf Kosten von Maßnahmen, die soziale Probleme in den Kiezen tatsächlich angehen könnten. Während das Polizeibudget weiter anwächst, werden Programme gestrichen, die Gewalt und Ungleichheit direkt bekämpfen – mit gravierenden Folgen für Menschen, die ohnehin strukturell benachteiligt sind.

Hinzu kommt: Die polizeiliche Kontrolle migrantisierter und rassifizierter Communities ist eine Form rassistischer Gewalt. Seit Jahrzehnten erlaubt das Konzept der kriminalitätsbelasteten Orte (kbOs) verdachtsunabhängige Kontrollen und schafft damit einen legalen Rahmen für systematisches Racial Profiling. Die Reform des Berliner Polizeigesetzes (ASOG) sieht nun zusätzlich Videoüberwachung an kbOs sowie den Einsatz künstlicher Intelligenz zur Auswertung dieser Aufnahmen vor. Dabei handelt es sich um kostspielige Maßnahmen, die polizeiliche Eingriffe noch weiter ausweiten. Im Juli hat die Landesregierung zudem weitere Orte sowie das gesamte ÖPNV-Netz zu Waffenverbotszonen erklärt und damit zusätzliche Räume für verstärkte Polizeipräsenz und „verdachtsunabhängige“ Kontrollen geschaffen. Nicht erst aber mit besonderer Intensität seit Oktober 2023 investiert Berlin außerdem erhebliche Ressourcen in die Unterdrückung von Palästina-solidarischen Demonstrationen. Menschenrechtsorganisationen, investigative Recherchen und Videoaufnahmen von Aktivist*innen belegen immer wieder den massiven Gewalteinsatz der Polizei in diesen Kontexten.

Diese Entwicklungen werden durch immer neue Wellen moralischer Panik befeuert und legitimiert. Rassistische Narrative, die Migration mit Kriminalität und Bedrohung verknüpfen, erzeugen politischen Druck für mehr Polizei, härtere Maßnahmen und weitere Eingriffe – insbesondere gegen migrantisierte Gruppen. In diesem Abschnitt erläutern wir unser Verständnis des Konzepts der moralischen Panik und zeigen anhand von drei Beispielen, wie reale oder konstruierte Krisen den Ruf nach polizeilichem Ausbau antreiben: das Polizieren vermeintlich „gefährlicher Orte“, die Versicherheitlichung der Wohnungskrise und die Konstruktion angeblicher „Kriminalitätstrends“. In allen drei Fällen zeigt sich, wie medial und politisch zusätzliche Mittel für die Polizei gefordert und gewaltvolle Einsätze legitimiert werden, was die Ausgaben für die Polizei weiter in die Höhe treibt.

In Teil 3 legen wir unsere politischen Forderungen dar. Wir fordern unter anderem eine sofortige Kürzung polizeilicher Mittel sowie gleichzeitige Investitionen in polizeibetroffene Communities und soziale Lösungen, die echte Sicherheit begünstigen. Wir schlagen konkrete und realistische Schritte vor: die Finanzierung von kbOs einzustellen, Investitionen in problematische Einsatztechnik und Überwachungssysteme zu beenden, polizeiliche Überstunden abzuschaffen, auf weitere Neueinstellungen zu verzichten und die Polizeidichte auf ein Niveau zu senken, das unter dem von New York City liegt. Zusammengenommen könnten diese Maßnahmen mehr als 500 Mio. € freisetzen, die sich stattdessen in soziale Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und gemeinwohlorientierte Angebote investieren ließen.

Anstatt weiterhin Geld in die Polizei zu stecken, fordern wir die Regierung auf, in Maßnahmen zu investieren, die Lebensbedingungen verbessern, strukturelle Ursachen von Gewalt angehen und Alternativen zu strafenden Ansätzen stärken. Im Bericht stellen wir dabei vier konkrete Handlungsfelder in den Mittelpunkt: Alternativen zur Polizei in Notsituationen, eine andere Drogenpolitik, Wohnraum und Anti-Gewalt-Arbeit. Zwar ist uns bewusst, dass auch in diesen Handlungsfeldern bestehende Ansätze zum Teil von strafenden Logiken geprägt sind, die wir in Frage stellen. Dennoch bieten sie Ansatzpunkte, auf denen wir aufbauen und die wir kritisch weiterentwickeln können, indem wir Modelle stärken, die marginalisierte Communities und ihr Wohlergehen in den Mittelpunkt stellen. Als Abolitionist*innen arbeiten wir auf eine Welt ohne Polizei hin – eine Welt, in der wir auf Schaden mit kollektiver Fürsorge reagieren und Bedingungen schaffen, die Gewalt verhindern, statt auf Strafe zu setzen. Die in diesem Bericht formulierten Forderungen sind konkrete Schritte, die schon heute umgesetzt werden können, um diesem Ziel näherzukommen.

Next
Next

Neu: Rechtlicher Leitfaden zur Prozessbeobachtungen